Samstag, 14. August 2010

Irgendwas über glücklich sein.

"Ich erinnere mich nur zu gut an den Moment im Philosophieunterricht und wie ich mich gefragt habe, was ich getan habe, dass ich 45 Minuten lang so leiden muss. Ich muss allerdings gestehen, dass ich zu dem Zeitpunkt scheinbar noch überhaupt keine Ahnung hatte, was leiden wirklich bedeutet. Herr Meyer war jedenfalls - so schien es - die gesamte Stunde mit einem inneren Monolog beschäftigt, der sich einzig und allein um das Thema Moral drehte. Ich dachte, ich könnte vielleicht ein Auge zutun .. In der vergangenen Nacht hatte ich vor lauter Glück nicht sehr viel geschlafen. Man könnte meinen, dass ich vor Lachen nicht in den Schlaf kam. Merkwürdige Vorstellung. Irgendwann drangen Worte wie 'Was würdet ihr dann tun?', 'Ihr wäret für immer glücklich.' zu mir durch. Ich öffnete einen Spalt der Augen. Die letzte Reihe hatte mich mal wieder gerettet. Und Lukas. Der so breit war wie kein Zweiter und natürlich direkt vor mir saß. Meine Platzwahl war spitze, sodass niemand außer meiner Sitznachbarin bemerkte, dass ich eingeschlafen war. Natürlich würde jetzt jeder lautstark protestieren, um zu sagen, dass meine Kommentare gefehlt hätten .. aber es gab nichts, wozu man seinen Kommentar hätte abgeben können. Es dauerte ein Weilchen bis ich begriffen hatte, worum es da vorne überhaupt ging. Es handelte sich um irgendein Gerät. Eines, an dem man angeschlossen wurde. Für sein restliches Leben. Dieses Gerät garantierte, dass man alles real erlebte und für immer glücklich sein werde. Das heißt, dass man sein eigenes Gehirn austrickst. Man simuliert, dass man gerade lebt. Man sieht sogar das echte Leben. Das Leben, das so gnadenlos gut abläuft, dass es beinahe keine Realität sein kann. In Wirklichkeit aber liegt man nur in irgendeinem Hinterraum, angeschlossen an Kabel und Monitore und träumt sein Leben. Man wird älter und um einen herum geht das Leben genauso weiter wie bisher. Kinder, die nicht an diesen Geräten angeschlossen sind, kommen einen besuchen und fragen sich, was man gerade jetzt in diesem Augenblick träumt. Ich weiß noch, wie schrecklich ich die Vorstellung fand. Mein Leben lief doch super. Warum also sollte ich die Realität gegen einen Haufen Lügen eintauschen? Herr Meyer fragte jeden Schüler nach seiner Meinung. Ein paar meinten, dass sie es riskieren würden. Auch mit der Gewissheit nie wieder zurückkehren zu können. Das fand ich ziemlich aberwitzig. Fast krank. Ich weiß noch, wie er mich nach meiner Meinung fragte und ich kurz lächelte, um nicht völlig auszurasten und loszuprusten. 'Ich finde die Vorstellung ziemlich grausam. Um ehrlich zu sein bin ich nicht darauf aus, die Realität gegen einen Haufen Lügen einzutauschen.'

Aber wenn ich heute ehrlich bin, dann weiß ich nicht, was ich antworten würde!"

- Buchausschnitt.

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